In seinem am 28.04.2022 verkündeten Urteil (Az. C-44/21) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die von den deutschen Land- und Oberlandesgerichten entwickelte Praxis verworfen, wonach der Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentverletzungsfällen in der Regel nur dann in Betracht kommt, wenn der Rechtsbestand des Patents zuvor in einem zweiseitigen Verfahren bestätigt wurde. Das Landgericht München hatte dem EuGH mit Beschluss vom 19. Januar 2021 (Az. 21 O 16782/20) die Frage vorgelegt, ob diese Praxis mit der EU-Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG vereinbar sei. In seinem Vorlagebeschluss hatte das Landgericht deutlich erkennen lassen, dass nach seiner Ansicht die zunächst von den Düsseldorfer Gerichten entwickelte und Ende 2019 auch vom Oberlandesgericht München übernommene Rechtsprechung europarechtswidrig sei. Dem hat sich der EuGH mit seinem Urteil angeschlossen und der bisherigen Rechtsprechung, wonach im Eilverfahren strenge Anforderungen an den Rechtsbestand der mitunter technisch sehr komplexen Patente zu stellen sind, eine Absage erteilt.
Der Vorlagebeschluss des Landgerichts München, über den der EuGH am 28.04.2022 entschieden hat, ist in Fachkreisen kontrovers diskutiert und das Urteil des EuGH mit Spannung erwartet worden. Nach dem wegweisenden Urteil des EuGH dürfte es nun zu einem Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung und zu einer großzügigeren Handhabung von einstweiligen Verfügungen in Patentsachen kommen. Das Landgericht München, das für seine Vorlage an den EuGH mitunter heftig kritisiert wurde, wurde in seiner Auffassung nunmehr höchstrichterlich bestätigt.
Hintergrund des Urteils ist die bereits vor Jahren zunächst in Düsseldorf entwickelte Rechtsprechung zum Erlass von einstweiligen Verfügungen in Patentverletzungsfällen. Da den Gerichten in diesen Eilverfahren wenig Zeit bleibt, sich mit dem Rechtsbestand des in Rede stehenden Patents zu befassen, der oft komplexe technische Fragestellungen aufwirft, hat sich beim Landgericht und Oberlandesgericht Düsseldorf die Praxis durchgesetzt, einstweilige Verfügungen in der Regel nur zu erlassen, wenn der Rechtsbestand hinreichend gesichert ist. Dafür ist in der Regel eine den Rechtsbestand bestätigende Entscheidung in einem zweiseitigen Verfahren (Einspruch oder Nichtigkeitsklage) erforderlich. Allerdings sind daneben auch andere, inhaltlich gleichwertige Umstände anerkannt worden, wie beispielsweise die umfassende Lizenzierung des Patents. Auch wenn das Erteilungsverfahren aufgrund der Beteiligung von Dritten faktisch wie ein zweiseitiges Verfahren geführt wurde, kann nach dieser Rechtsprechung der Rechtsbestand als gesichert angesehen werden.
Das Landgericht und Oberlandesgericht München hatten lange Zeit eine weniger strenge Rechtsprechung vertreten. Davon ist das Oberlandesgericht München jedoch mit Urteil vom 12. Dezember 2019 (Az. 6 U 4009/19) abgewichen und hat sich ausdrücklich der Düsseldorfer Praxis angeschlossen. Dies wiederum nahm das Landgericht München zum Anlass, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob eine solch restriktive Handhabung von einstweiligen Verfügungen in Patentsachen mit der EU-Durchsetzungsrichtlinie vereinbar ist, die ausdrücklich vorsieht, dass Inhabern gewerblicher Schutzrechte die Möglichkeit gewährt werden muss, diese Rechte im Eilverfahren durchzusetzen.
Der Fall, den das Landgericht München schließlich dem EuGH vorgelegt hat, ist Teil einer umfangreichen Auseinandersetzung zwischen den beiden deutschen Unternehmen Harting Deutschland GmbH & Co. KG und Phoenix Contact GmbH & Co. KG. Zwischen beiden Unternehmen sind eine ganze Reihe von Patentverletzungsstreitigkeiten anhängig. In dem dem EuGH vorgelegten Fall hatte Phoenix den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Harting wegen eines Patents auf ein Gehäuse für einen Schwerlaststeckverbinder beantragt. Das Landgericht München sah sich am Erlass der Verfügung allerdings gehindert, weil der Rechtsbestand nach seiner Ansicht nicht als „gesichert“ im Sinne der neuesten Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München anzusehen sei.
Harting vertraut in sämtlichen Verfahren gegen Phoenix, einschließlich dem am 28.04.2022 entschiedenen Vorlageverfahren, auf ein Team aus Patentanwälten (Klaus Göken, Jochen Unland) und Rechtsanwälten (Sönke Scheltz, Tilman Müller) der Kanzlei Eisenführ Speiser. Eisenführ Speiser pflegt seit Jahren enge Beziehungen zu Harting und vertritt das Unternehmen darüber hinaus auch in markenrechtlichen Streitigkeiten sowie bei Patentanmeldungen.
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